In einer lang erwarteten Entscheidung (C-311/18), die am 16. Juli 2020 verkündet und bereits weithin bekannt gemacht wurde, musste der Gerichtshof der Europäischen Union über die Gültigkeit der Standardvertragsklauseln für die Übermittlung personenbezogener Daten an Auftragsverarbeiter mit Sitz in Drittländern entscheiden (Beschluss 2010/87, in der durch den Beschluss 2016/2297 geänderten Fassung, allgemein als „Modellklauseln“ bezeichnet) bzw. über den EU-US-Datenschutzschild (Beschluss 2016/1250, allgemein als „Privacy Shield“ bezeichnet).
Während die Modellklauseln knapp gerettet wurden, läutet dieses Urteil jedoch die Totenglocke für „Privacy Shield„.
Einleitend sei daran erinnert, dass die Übermittlung von Daten aus einem EU-Mitgliedstaat in ein Drittland voraussetzt, dass entweder das Empfängerland von der Kommission als Land anerkannt worden ist, das ein als angemessenes Schutzniveau bietet (Artikel 45 DSGVO; eine Liste dieser Länder, zu denen die Schweiz derzeit gehört, finden Sie hier), oder dass der für die Verarbeitung Verantwortliche angemessene Garantien vorgesehen hat (Artikel 46 DSGVO).
Zusätzlich zu den Modellklauseln, die ausdrücklich als geeignete Garantieform für die Übertragung in die Vereinigten Staaten akzeptiert wurden (Art. 46 Abs. 2 lit. c) DSGVO), war bisher anerkannt worden, dass die Vereinigten Staaten ein angemessenes Schutzniveau für Unternehmen bieten, die sich entschlossen hatten, sich freiwillig dem „Privacy Shield“ zu unterwerfen (für eine Liste solcher Unternehmen siehe hier).
Im Wesentlichen argumentierte Maximillian Schrems, ein österreichischer Staatsangehöriger, dass die Übermittlung seiner persönlichen Daten durch Facebook Irland an Facebook Inc. in den Vereinigten Staaten nicht die erforderlichen Versicherungsgarantien biete, da die US-amerikanische Überwachungsgesetzgebung gegen die Artikel 7 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens), 8 (Schutz personenbezogener Daten) und 47 (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf Zugang zu einem unparteiischen Gericht) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoße.
Dabei geht es vor allem um zwei Akte: erstens um Art. 702 FISA (Foreign Intelligence Surveillance Act), nach dem der Generalstaatsanwalt und der Direktor des Nationalen Nachrichtendienstes gemeinsam die Überwachung von Nicht-US-Bürgern außerhalb der Vereinigten Staaten genehmigen können, um „Informationen des Auslandsgeheimdienstes“ zu erhalten; Diese Bestimmung bildet die Grundlage für die Überwachungsprogramme PRISM (die Internet-Diensteanbieter anweist, der NSA und in gewissem Umfang auch dem FBI und der CIA alle von einer bestimmten Person gesendeten und empfangenen Mitteilungen zur Verfügung zu stellen) und UPSTREAM (die Telekommunikationsunternehmen, die das Internet-„Backbone“ betreiben, anweist, der NSA das Kopieren und Filtern von Internet-Verkehrsströmen zu gestatten, um Mitteilungen zu sammeln, die von den jeweiligen nicht-amerikanischen nationalen Behörden gesendet oder empfangen wurden). Zweitens die E.O. 12333, die es der NSA erlaubt, durch Zugang zu auf dem Atlantikboden verlegten Unterseekabeln auf Daten zuzugreifen, die sich „auf der Durchreise“ in die Vereinigten Staaten befinden, und ihre Daten zu sammeln und zu speichern, bevor sie in den Vereinigten Staaten ankommen und der FISA vorgelegt werden.
Zunächst hatte der Gerichtshof über die Frage zu entscheiden, ob die aus Sicherheitsgründen durchgeführte Datenverarbeitung nicht vom Anwendungsbereich der DSGVO ausgeschlossen ist, insbesondere im Lichte von Art. 2 Absatz 2 Buchstabe a), der bei seiner Auslegung die Anwendung der DSGVO ausschließt, wenn die Datenverarbeitung von Behörden aus Gründen der nationalen Sicherheit durchgeführt wird. Das Gericht verneint dies, da es hier nicht um die mögliche Verarbeitung durch die US-Behörden geht, sondern um den Transfer zwischen zwei Wirtschaftseinheiten (nämlich Facebook Irland einerseits und Facebook Inc. andererseits). Die Möglichkeit, dass personenbezogene Daten, die zwischen zwei Wirtschaftsteilnehmern zu kommerziellen Zwecken übermittelt werden, während oder als Folge einer solchen Übermittlung für Zwecke der öffentlichen Sicherheit verarbeitet werden, hat jedoch nicht zur Folge, dass diese Übermittlung aus dem Anwendungsbereich des DSGVO herausfällt.
Nachdem diese Vorfrage geklärt ist, wendet sich der Gerichtshof der Frage zu, ob die Modellklauseln als „angemessenes Sicherungsrecht“ angesehen werden können, das eine Übertragung in die Vereinigten Staaten im Sinne von Art. 46 DDR erlaubt. Im Wesentlichen lautet ihre Argumentation wie folgt:
Mit anderen Worten, die Aufnahme einer Modellklausel reicht nicht aus, um sicherzustellen, dass der Transfer über angemessene Garantien verfügt. Die Gesetzgebung des Empfängerlandes muss auch wirksame Mittel vorsehen, damit sich Einzelpersonen über eine mögliche Verletzung ihrer Rechte nach Art. 47 der Charta beschweren können. Ist dies nicht der Fall, dann muss der Rückgriff auf die Modellklauseln ohne jegliche Ergänzung als unzureichend angesehen werden. In einem solchen Fall kann die Aufsichtsbehörde dann auf der Grundlage von Art. 58 der oben erwähnten DSGVO direkt eingreifen, um die Überstellung auszusetzen oder zu untersagen.
Art. 4 lit. a der Modellklausel verpflichtet der Verantwortliche nämlich dazu, sicherzustellen, dass die Gesetzgebung des Drittlandes es dem Auftragsverarbeiter erlaubt, den in der Modellklausel enthaltenen Verpflichtungen nachzukommen. Allerdings ist Art. 5 lit. a der Modellklausel in diesem Zusammenhang eine willkommene Hilfe für den für den Verantwortlichen, da der Auftragsverarbeiter ihn so schnell wie möglich über seine mögliche Unfähigkeit, seinen in der genannten Klausel enthaltenen Verpflichtungen nachzukommen, informieren muss, während Art. 5 lit. b diese Verpflichtung noch verstärkt, indem er vorsieht, dass der Auftragsverarbeiter auch bestätigen muss, dass er keinen Grund zu der Annahme hat, dass das anwendbare Recht ihn an der Erfüllung dieser Verpflichtungen hindert.
Ist der Auftragsverarbeiter hingegen nicht in der Lage, seinen Verpflichtungen nachzukommen, so ist der Gerichtshof der Auffassung, dass Art. 4 lit. a der Modellklausel den Verantwortlichen dann verpflichtet, jede Übermittlung auszusetzen oder zu untersagen, wobei präzisiert wird, dass Art. 12 zusätzlich verlangt, dass bereits übermittelte Daten zurückgegeben oder vernichtet werden. Im Falle einer Gesetzesänderung, über die der Auftragsverarbeiter den Verantwortlichen zu informieren hat, kann der Verantwortliche beschliessen, die Verarbeitung fortzusetzen, muss dann aber die Aufsichtsbehörde gemäss Art. 4 lit. g der Modellklausel informieren. Auch in diesem Fall steht es der Aufsichtsbehörde frei, die Verarbeitung gemäß Art. 58 DSGVO auszusetzen oder zu verbieten.
Im Hinblick auf das durch die Anwendung der Art, 4 und 5 der Modellklausel geschaffene System ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die Klausel wirksame Mittel vorsieht, die den Anforderungen der Art. 7, 8 und 47 der Charta entsprechen. Damit bestätigt das Gericht die prinzipielle Gültigkeit der Modellklauseln.
Während die Kombination von Art. 4 und 5 der Modellklausel ihre Gültigkeit behält, ist ein solcher Mechanismus im Privacy Shield nicht vorgesehen. Nach Ansicht des Gerichts bietet der Privacy Shield in zweierlei Hinsicht keine geeignete Garantien:
In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen erklärt das Gericht den Beschluss 2016/1250 für ungültig.
Was ist über das Ergebnis dieses Urteils zu denken?
Was die Überstellung in die Vereinigten Staaten betrifft, so ist schwer vorstellbar, wie der Gesetzgeber im Lichte von Art. 47 der Charta wirksame Mittel vorsehen könnte, wenn der für die Verarbeitung Verantwortliche eine Modellklausel verwendet, während diese Bestimmung im Lichte des Privacy Shield verletzt würde. Solange die Daten nicht anonymisiert sind, dürfte der Datentransfer in die Vereinigten Staaten daher den Marktteilnehmern von nun an schwer fallen, es sei denn, sie sind bereit, das daraus resultierende Risiko zu akzeptieren. Daher wird hier eine sorgfältige Analyse erforderlich sein.
Dieser Ansatz gilt jedoch nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern für alle Länder, die kein angemessenes Schutzniveau bieten, d.h. für eine sehr große Mehrheit der Staaten. Der für die Datenverarbeitung Verantwortliche muss also die Risiken abschätzen, indem er sich insbesondere über : (i) den Umfang der Verarbeitung, (ii) die Art und Weise, in der die Daten verarbeitet werden, (iii) die Befugnisse der Behörden, die wahrscheinlich auf die Daten zugreifen wollen, und (iv) die Möglichkeit, sich einem solchen Ersuchen zu widersetzen (falls erforderlich vor Gericht).
Sollte diese Risikobeurteilung zu der Schlussfolgerung führen, dass die betreffenden Rechtsvorschriften keine ausreichenden Garantien bieten, sollte sich der für die Verarbeitung Verantwortliche dann bemühen, die Modellklauseln zu vervollständigen, um diese Mängel vor dem Gericht zu beheben.
Es muss jedoch eingeräumt werden, dass es schwer vorstellbar ist, wie durch Mängel in der Gesetzgebung mit vertraglichen Mitteln die Einmischung des Staates behoben werden könnte… Präzisere Klauseln und zusätzliche Verpflichtungen für den Auftragsverarbeiter dürften zumindest die Bemühungen des für die Verarbeitung Verantwortlichen widerspiegeln, Probleme zu erkennen und zu beheben und so die nachteiligen Folgen zu verringern, die eine fehlende Bewertung für ihn haben könnte. Es wird erwartet, dass das Europäische Datenschutzkomitee in naher Zukunft diesbezüglich einige Orientierungshilfen geben wird.
Letztendlich scheint es jedoch das Vorrecht der größten Marktteilnehmer zu sein, eine solche Risikobewertung vorzunehmen. In mancher verständlichen Hinsicht berücksichtigen die vorgebrachten Argumente jedoch nicht die wirtschaftliche Realität und die enormen Kosten, die eine systematische Risikobewertung für jedes Land, das kein angemessenes Schutzniveau bietet, für die überwiegende Mehrheit der Unternehmen nach sich ziehen wird. Werden Auftragsverarbeiter aus „Drittländern“ sich bereit erklären, die Kosten dieser Analyse zu schlucken, zu deren Durchführung die Verantwortlichen sie sehr oft auffordern werden, um ihnen die notwendigen Garantien zu bieten oder sie kommerziell in ihr Preismodell zu integrieren?
Geht man davon aus, dass eine solche Beurteilung systematisch notwendig ist, wie die Argumentation des Gerichtshofs vermuten lässt, verstößt eine solche Belastung nicht gegen den eigentlichen Zweck der Modellklausel und die angestrebte einfache Umsetzung, um auf die vorherige Zustimmung der Aufsichtsbehörde zu verzichten? Dann kann sich auch vorstellen, dass jede Risikoabschätzung auch eine Verpflichtung zur Dokumentation der Risiken bedeutet. Wäre es in diesem Fall nicht besser, eine vorherige Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde zu bevorzugen, was genau das ist, was mit den Modellklauseln vermieden werden sollte?
Zugegeben, die Zeiten haben sich seit der Verabschiedung der Modellklauseln geändert, und der Eingriff in die nationale Sicherheit ist für viele Staaten ein Mittel zur übermäßigen Überwachung. In seinen Auswirkungen dürfte das Urteil des Gerichtshofs somit eine Neuaufteilung der Märkte fördern, eine Vision, die sicherlich möglich ist, die aber noch weit von der Realität einer Wirtschaft entfernt ist, die weitgehend globalisiert ist und sicherlich noch lange Zeit so bleiben wird. Bedeutet dies, dass dieses Urteil weitgehend undurchführbar bleiben wird, wenn die Modellklauseln nicht überarbeitet werden, um sie auf den neuesten Stand zu bringen? Das bleibt abzuwarten.
Wenn es nicht gelingt, die verarbeiteten Daten vollständig zu anonymisieren, was eine immer schwierigere Aufgabe ist, scheint es in Anbetracht der obigen Ausführungen jedenfalls vernünftig anzunehmen, dass die überwiegende Mehrheit der Marktteilnehmer es vorziehen würde, sich vorläufig ohne weitere Analyse an die Modellklauseln zu halten und die damit verbundenen Risiken einzugehen, anstatt sich systematisch auf eine solche Analyse einzulassen. Auf jeden Fall wird diese Position wahrscheinlich so lange Bestand haben, wie der Europäische Datenschutzausschuss und die Aufsichtsbehörden nicht zusammengearbeitet haben, um Richtlinien zu erlassen, wie dieses Urteil nun in der Praxis angewandt werden soll.
Wetten, dass die Haltung der Aufsichtsbehörden hier wie anderswo ein Vektor für die Haltung sein wird, die eingenommen werden soll: Wenn das ICO bereits bereit zu sein scheint, einen gewissen Pragmatismus zu zeigen, so ist es in Berlin nicht dasselbe, wo der Kommissar mitgeteilt hat, dass die Verantwortlichen sich nun an das Urteil halten müssen und insbesondere im Hinblick auf die Nutzung von Cloud-Providern nach Alternativen suchen müssen, die eine Rückführung der Daten nach Europa ermöglichen.
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