Gesetzliche Genehmigungsklauseln und der Fall Sika

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Wie die Zeitung Le Temps in ihrer Ausgabe vom 26. Juni treffend beschrieb, erinnert jeder Juni an eine der wichtigsten juristischen Auseinandersetzungen im Schweizer Gesellschaftsrecht: Sika AG vs. Saint-Gobain.


Die Statuten der Sika AG in Zug enthielten eine sogenannte Genehmigungsklausel.  Diese Klauseln erlaubten es dem Verwaltungsrat, den Erwerb eines bestimmten Anteils am Aktienkapital der Gesellschaft zu verweigern, wenn der Erwerb über einer bestimmten Schwelle lag, in diesem Fall 5% des Aktienkapitals. Im Fall der Sika AG gab es zwei zusätzliche Klauseln, die den ungewollten Eintritt eines unerwünschten neuen Aktionärs verhinderten: (i) Das Aktienkapital setzte sich aus verschiedenen Aktiengattungen mit unterschiedlichem Nennwert zusammen (d.h. zwei Hauptgattungen: (a) einerseits 2’151’199 börsenkotierte Namenaktien mit einem Nennwert von CHF 0.60 und andererseits 2’330’853 nicht börsenkotierte Namenaktien mit einem Nennwert von CHF 0.10, die 16.43% des Aktienkapitals repräsentieren, aber ihren Inhabern (der Gründerfamilie) 52.62% der Stimmrechte verleihen), (ii) die Statuten enthielten auch eine Opting-out-Klausel, die eine Befreiung von den Pflichten im Zusammenhang mit öffentlichen Übernahmeangeboten ermöglichte


Dieser Beitrag wird nur kurz den Anwendungsbereich von Zustimmungsklauseln im Schweizer Recht beschreiben und den Leser auf die Notwendigkeit aufmerksam machen, den Sonderfall des „indirekten Erwerbs“ bei der Ausarbeitung zu berücksichtigen.


Genehmigungsklauseln sind im Schweizer Aktienrecht in den Artikeln 685a bis 685c OR für nicht börsenkotierte Gesellschaften und in den Artikeln 685d bis 685g OR für börsenkotierte Gesellschaften zugelassen. Diese Klauseln sind vor allem in KMUs sehr häufig in den Gesellschaftsverträgen zu finden, da sie es dem Unternehmen ermöglichen, den Kreis seiner Gesellschafter zu kontrollieren, um es vor feindlichen Übernahmen, zum Beispiel durch Konkurrenten, zu schützen.


Im Fall von Sika sahen die Statuten der Gesellschaft gemäss Artikel 685d des Schweizerischen Obligationenrechts vor, dass jeder Erwerb von mehr als 5% des Aktienkapitals der vorherigen Zustimmung des Verwaltungsrats bedarf. Die Zustimmungsklausel in den Statuten der Sika AG konnte nur durch eine qualifizierte Mehrheit, d.h. durch eine Mehrheit oberhalb der Schwelle der erwähnten Vorzugsaktien der Familienholding des Gründers, aufgehoben werden.


Aber was ist mit einem „indirekten Erwerb“, d.h. einem Erwerb, der nicht die Aktionärsstruktur verändert, sondern die Beteiligung eines bestehenden Aktionärs, ohne dass dieser seine Beteiligung verändert? Mit anderen Worten: Gilt die Zustimmungsklausel im Falle einer Änderung der Beteiligung eines bestehenden Aktionärs? In diesem Fall hatte der französische Konzern Saint-Gobain das Aktienkapital des Vorzugsaktionärs, d.h. der Familienholding des Gründers, erworben, ohne dass sich die Beteiligung dieser Holding am Kapital der Sika AG verändert hätte.


Nach einem langwierigen Rechtsstreit entschied das Zuger Kantonsgericht nach einer sorgfältigen und sehr präzisen Prüfung nicht nur des Wortlauts (grammatikalische Auslegung) und der Herkunft (historische Auslegung), sondern auch des Kontextes (teleologische Auslegung) der Genehmigungsklausel in den Statuten der Sika AG, dass diese nicht nur für direkte, sondern auch für indirekte Erwerbe gelten soll. Das Bundesgericht musste in diesem Fall nicht entscheiden, weil die Parteien auf der Grundlage des Zuger Urteils beschlossen, ihren Streit durch einen außergerichtlichen Vergleich endgültig beizulegen.


Wird das Urteil des Zuger Obergerichts einen Präzedenzfall schaffen? Nichts ist weniger sicher. Tatsächlich weigerten sich die Zuger Kantonsrichter in diesem Fall, einen Rechtsmissbrauch in Betracht zu ziehen, um zu entscheiden, dass der vorgeschlagene Erwerb durch Saint-Gobain abzulehnen sei, sondern stützten sich auf eine konkrete Frage der Auslegung der fraglichen Klausel.


Es ist also keineswegs klar, dass jeder „indirekte Erwerb“ nach Schweizer Recht automatisch als unlauter gilt. Verfasser von Zustimmungsklauseln sind daher gut beraten, sich bei der Formulierung der Satzung vom Fall Sika inspirieren zu lassen, um ihren Wortlaut so zu stärken, dass jeder Fall des indirekten Erwerbs in den Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Zustimmungsklausel fällt. Bei nicht börsenkotierten Gesellschaften ist diese Formulierung jedoch gefährlich, da Absatz 7 von Artikel 685b OR den Statuten verbietet, die Übertragungsbedingungen strenger zu gestalten als das Regime der Absätze 1 bis 4 dieser Rechtsvorschrift. Diese Klausel gilt nicht für die Satzungen börsennotierter Unternehmen.


Das neue Aktienrecht, das voraussichtlich im Jahr 2023 in Kraft treten wird, enthält keine Änderungen an den Bestimmungen der Artikel 685 a bis 685 g OR. Dieses Problem bleibt also ungelöst. Wenn die Abfassung von Genehmigungsklauseln weiterhin möglich ist, muss sie nach dem „Fall Sika“ von den Verfassern erneut in den Blick genommen werden, sicherlich mit Hilfe eines oder mehrerer Juristen. 

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Christophe Wilhelm

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